Bilder für ein gesundes Körpergefühl und eine gesunde Sexualität

von Walentina Sommer

Eine meiner ersten Erinnerungen an das Thema Sex ist, als ich ca. 13 Jahre alt war. Meine Mutter nahm mich auf einen Spaziergang in den Park mit, wo sie mich aufklärte. Sie erzählte mir etwas von Bienchen und Blümchen und es war ihr „hochnot peinlich“. Deshalb wurde auch mir das Thema peinlich und mein Körpergefühl litt. Ich wusste, dass ich mit meinen weiteren Fragen besser nicht zu ihr gehen sollte. Ich wäre wirklich froh gewesen, damals schon Bildmaterial, wie „Das Tor ins Leben“ zu meiner Aufklärungszeit zur Hand gehabt zu haben.

Mit 13 suchte ich also anderweitig nach Informationen und wurde in der Bravo fündig. Dieses Heft durfte ich aber nur heimlich lesen, denn meine Eltern fanden es nicht gut. Keine einfache Situation für eine Pubertierende, die auf der Suche nach Informationen ist und ein gesundes Körpergefühl entwickeln soll. Wir schrieben das Jahr 1988 und das Internet war noch nicht erfunden. Zu Hause hatten wir noch nicht einmal einen Computer. Damit gab es auch keinerlei Zugriff auf anonyme Bilder oder Filme. Heute ist das für jeden Jugendlichen einfach zugänglich.
Wie mag es da Frauen gehen, die noch früher geboren wurden und bei deren Aufklärung das Thema noch unsichtbarer war?

Gesundes Körpergefühl statt Körper-Scham

Mir ist ein gleichwertiger, achtsamer Umgang mit der Weiblichkeit wichtig. Denn der lange Weg zum selbstbestimmten, respektvollen Leben als Frau ist nicht selbstverständlich.

Es wäre ein Traum gewesen, Bildmaterial zu meiner Aufklärungszeit zur Hand zu haben. So hatte ich nur wenig optische Vergleiche, um meine Ängste „nicht normal“ zu sein, in den Griff zu bekommen. Ein schneller Blick in der Gruppenumkleide beim Schwimmunterricht oder wenn wir mit einer Freundin übten, einen Tampon einzuführen.

Viele meiner Freundinnen bestätigen, sich mindestens einmal in ihrem Leben wegen ihrer Genitalien schlecht oder falsch gefühlt zu haben. In Frauenrunden kommt diese Körper-Scham fast jedes Mal zur Sprache.

Die Vielfalt der weiblichen Genitalien

Ist es nicht ein lustiger Scherz des Universums, dass gerade ich letztes Jahr den LebensGut Verlag übernommen habe, dessen Gründungswerk der Bildband Das Tor ins Leben“ von Grit Scholz ist? Es ist ein Bildband über die Vielfalt der weiblichen Genitalien und deren optische Bandbreite. Die große Ausgabe enthält 100 Vulva-Aufnahmen von Frauen zwischen 18 und 75 Jahren. Diesen wurden jeweils die entsprechenden Formen aus der Natur gegenübergestellt. Man sieht also Schmetterlinge, Muscheln, Blütenstände, Baumrinden und vieles mehr.
Damit sich möglichst viele Menschen diese Bilder ansehen, wurde eine Wanderausstellung konzipiert. Diese kannst Du gerne einladen, dann wandert die Ausstellung auch zu Dir.

Die weibliche Vulva in all ihren Varianten

Ihr könnt euch vorstellen, wie lang mein Weg war, um ein solches Buch bekannt zu machen und um die Welt zu schicken. Doch es ist mir wichtig, denn es gibt immer noch viel zu viele Mädchen und Frauen, die ihren eigenen Schoßraum nicht kennen. Die ihn noch nie betrachtet haben oder als hässlich wahrnehmen. Viele Frauen entscheiden sich für eine Schönheitsoperation und wollen einen Zustand herstellen, den die Natur gar nicht vorgesehen hat: die Brötchenform.

Die Bilder, die wir aus Pornos kennen, sind in den seltensten Fällen natürlich. Sie entspringen vielmehr der Fantasie und der Kunst der Chirurgie. Vulven von Präpubertierenden besitzen häufig von Natur aus die Brötchenform. Für ältere Frauen oder nach Geburten ist das nicht mehr gegeben. Was sagt das über uns als Gesellschaft aus, dass unser Schönheitsideal sich an den körperlichen Gegebenheiten von Kindern orientiert? Die Pornografie bereitet der Verrohung unserer Gesellschaft ein weiches Bett. Und fast jede achte, aus Deutschland im Internet aufgerufene Seite, hat einen pornografischen Inhalt. Das zeigt mir, dass das Interesse an entsprechendem Bildmaterial ungeheuer groß ist.

Jede Frau sollte deshalb für sich folgende Fragen klären können: Wie sehe ich mich als Frau? Welches Bild habe ich von meinem Körper? Wie positiv ist mein Körpergefühl? Wie beeinflusst mein eigenes Bild von mir mein seelisches und physisches Wohlergehen?
Diese spannenden Fragen wirft das Buch „Tor ins Leben“ auf. Doch das Beste ist: Es gibt Impulse, um die Antworten darauf in sich selbst zu finden, unabhängig vom gängigen Schönheitsideal.

Raus aus der Tabuzone

Das Werk möchte einen Beitrag zur Aufklärung, zum Frau werden und zur Enttabuisierung der Thematik liefern. Erwachsene Männer und heranwachsende Söhne können mit seiner Hilfe zu achtsamen Männern und (späteren) Sexualpartnern reifen, die Achtung vor der Weiblichkeit und dem Leben haben.

Es ist dringend erforderlich, dass wir der Tabuisierung der weiblichen Geschlechtsorgane öffentlich entgegentreten. Was sieht man denn schon, abgesehen von pornographischen, gebleachten, korrigierten und Foto-nachbearbeiteten Vulven? Wie sollen unsere Kinder ein gesundes Körpergefühl und eine gesunde Sexualität entwickeln, wenn sie nur derartige Bilder zu sehen bekommen und selbst ganz anders aussehen?

Das führt zu Irritationen ihres Selbstbildes. Auch heute noch fühlen sich Kinder falsch und eklig. Was hört man denn, abgesehen von herabwürdigenden, unpassenden, machtbezogenen oder obszönen Ausdrücken über die weiblichen Genitalien? Die abwertenden Begriffe sind bereits so in unserer Sprache verankert, dass manche Jugendliche die medizinischen Begriffe gar nicht kennen. Ganz zu schweigen von wohlwollenden Bezeichnungen, wie „Yoni“. Yoni ist ein Wort aus dem Sanskrit. Es beinhaltet die Wertschätzung und die Ganzheit des weiblichen Geschlechts. Yoni beschreibt sowohl die körperliche Beschaffenheit, als auch die spirituelle Bedeutung des weiblichen Schoßes.

Das andere Extrem, die Verniedlichung der Vagina beispielsweise als „Mumi oder Mumu“, ist ebenso bedenklich. Denn dadurch kommt Kindern die Ernsthaftigkeit und die Augenhöhe im Gespräch über den eigenen Körper abhanden. Und – solange in Büchern von Pussys, Mösen und Muschis geschrieben wird und es den Lektorierenden noch nicht einmal auffällt oder missfällt, braucht es noch sehr viel mehr Literatur wie „Das Tor ins Leben“.

Ein klares Nein zu Verniedlichung und Obszönität

In einem derartigen Umfeld braucht es eine Wendung, ein Kontra, ein lautes und ein leises Stopp … künstlerisch, ästhetisch, achtsam und liebevoll, laut und leise … überall und so oft wie möglich.

Wenn wir das eigene Geschlecht wertschätzen, erhalten wir Frauen bereits einen großen Teil an Lebenskraft und Freude. Wenn sich anerzogene Scham, Schuld und Hemmungen verabschieden, tritt immer klarer hervor, dass die sexuelle Energie ein Ausdruck von Lebensenergie, Kreativität und Freude ist.

Das „Tor ins Leben“ gehört auf jeden Tisch in Wartezimmern bei Frauenärzten und Frauenärztinnen, in jeden Aufklärungsunterricht, in die Tasche jeder Hebamme, in jeden gut sortierten Buchladen, zu jedem Aufklärungsgespräch mit Töchtern und Söhnen, in jede Praxis der Sexual- oder Paartherapie und überall dorthin, wo man laut und leise eine neue Richtung einschlagen möchte und kann.

Der Mensch und seine wahren Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt

Im August 2019 habe ich den LebensGut Verlag als Verlegerin übernommen. Ursprünglich gegründet wurde der Verlag 2007 von Grit Scholz, die sich nach 12 Jahren Verlagstätigkeit neuen Aufgaben und Zielen widmet.

Meine Vision ist es, das Bewusstsein um die Bedeutung der Intelligenz unserer Gefühle, der Intuition und der menschlichen Anteilnahme in der Gesellschaft zu stärken. Themen wie Intuition, Seele und Wirklichkeit sind für jeden Menschen wichtige Ressourcen und deshalb will ich dazu beitragen, diesen im täglichen Denken und Handeln aller Menschen Platz zu gewähren. Das ist mein kollektives Ziel als Verlegerin.

Aus diesem Grund verlege ich Bücher, die weit über das Rationale hinausgehen und die menschliche Gefühls- und Seelenwelt ansprechen.

Herzlichst, Walentina Sommer

Walentina Sommer
Verlegerin LebensGut Verlag
www.lebensgut-verlag.de

Literatur zum Thema: Das Tor ins Leben

2 Antworten auf „Bilder für ein gesundes Körpergefühl und eine gesunde Sexualität“

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