Confession: Ich glaube an ihn

(franz. Bekenntnis, Beichte)

von Bernhard Schlage

Er ist prall, ganz fest und warm. Nein, keiner von diesen Heißspornen, die es geben soll. Auch nicht besonders dick. Nein, er ist etwas schief, was daher kommen soll, dass ich ihn immer links trage.

Manche Männer wollen ja von außen durch die Hose erkennen können, auf welcher Seite Mann ihn trägt. Und er ist nicht immer prall und heiß. Die meiste Zeit seines Lebens ist er weniger warm, ist weich und sehr empfindlich. Die meiste Zeit seines Lebens ist er eingepackt, wird er versteckt oder behütet oder heimlich durch die Hosentasche befummelt.

Das ist überhaupt ein Ding über das selten gesprochen wird: Wie viele Männer beim entspannten Lesen in stillen Stunden an ihm kraulen. Die weiche Haut drumherum befummeln, den Finger unter die Vorhaut schieben oder ein wenig mit dem Finger auf der Eichel kraulen. Nicht zur Erlangung besonderer Erregungen oder strapaziöser Lüste, sondern einfach aus belangloser Muße ihn kraulen. In diesem weichen Zustand ist er die meiste Zeit, bei jedem Manne.

Der aufgeblähte Politiker, der Quizmaster im Fernsehen, der Polizist von der Wache, der feindliche Nachbar, der einem das Leben schwer macht, der Stadtstreicher, der prominente Sänger á la Pavarotti, dein bester Freund oder dein Vater… Egal wie sie in der Öffentlichkeit auftreten oder was ihre spezielle Rolle ist, sie alle haben dies überaus weiche und zarte Ding in der Hose. So weich und so warm, dass wir uns bei dem Gebaren manches Vertreters dieser Spezies, bei manchem ideologischen Betonkopf, gar nicht mehr vorstellen können, dass sie so etwas überhaupt noch bei sich tragen.

Bei manchen verschwindet er in einer Falte Fett unterhalb des Bauchnabels, bei anderen wird er ob seiner Länge irgendwo zwischen Unterhose, Hosennaht und Oberschenkel eingeklemmt. Dritte sprechen über ihn, als wäre er auf einem Amboss zu einer andauernden Härte geschmiedet worden. Es gibt jene dunklen in der arabischen Welt, die dem Vernehmen nach immer frei in weiten Pluderhosen baumeln können oder in Melanesien, die in einem Schmuckfutteral aus Federn und Blättern herumgetragen werden. Von der Neigung zu Erkältungen bei jenen unter kurzen Schottenröcken erzählen nur Gerüchte, aber jene bräunlichen der indische Bahuchara, der kastrierten Liebesjungen, denen Skrotum und Hoden entfernt wurden und die wie ein einsamer Stab unter dem Bauch hervorstehen sind bittere Realität.

Wie viele Männer tragen ihn heute im Suspensorium, gehalten von Mullbinden, weil er von Operationen geschändet sich selbst nicht mehr zu halten vermag? Und wie viele tragen ihn im Moment in Gebinden aus Leder und Eisen, auf Geheiß ihrer ‘Herrin‘ oder zur Steigerung ihrer Empfindungen beim nächsten Akt? Was wird ihm in der Welt der Männer alles angetan? Wie groß ist manch Mannes Angst, dass er in seiner ganzen Nacktheit und Verletzbarkeit gesehen wird?

Was da an schöner zarter Frauenhaut auf den Bildern der Gazetten dargestellt wird und welch zarte weiche Haut wir selber in der Hose mit uns tragen

Wie hohl erscheinen gerade jene Männer, die immer nur von seiner Stärke, Straffheit und Potenz schreiben, obwohl er doch die meiste Zeit gar nicht so ist? Mir erscheint die Stärke gerade darin zu liegen, ihn als Mann in seinem Weichsein schamlos-herzvoll anzunehmen. Und damit auch der ganzen Impotenz-Debatte den Zahn zu ziehen, dass seine Weichheit ein Defekt und Ausnahmezustand wäre, der behoben werden müsste. Nein, mein Glauben an ihn erstreckt sich auch auf jenen Moment, in dem er mir die Erektion versagt und ihn zu spüren, wahrzunehmen, das, was er nicht will, auch zweifelhaftes Vergnügen für mich selber wäre.

Er ist prall, ganz fest und warm in meiner Hand. Hat eigentlich schon mal jemand die Idee gehabt, das männliche Onanie-Verhalten in Beziehung zur Größe unseres Bizeps zu setzen? Dicker Muskel gleich viel Onanie? Oder eben dieses männliche Verhalten in Beziehung zur Menge des täglich in der Kanalisation verschwindenden Spermas gesetzt? Ist das nicht eine gigantische Verschwendung evolutionärer Möglichkeiten, die da tagtäglich durch die Rohre unserer Städte auf Nimmerwiedersehen verloren geht?

Ich komme dazu, was mit ihm so alles begangen wird

Da ist zuerst jener Moment kurz nach der Geburt, wenn wir unsere Mama gerade von außen entdecken, wo wir gehalten werden und zum Erstaunen aller Anwesenden diese köstlich gelbe warme Flüssigkeit durch ihn auf unsere Mutter rinnen lassen.

Dann die Situation auf dem Wickeltisch: Auf dem Rücken liegend mit ausgebreiteten Beinen ist ohnehin schon entwürdigend und das Thema des sexuellen Missbrauchs kleiner Jungen in dieser Szene ist noch viel zu wenig im öffentlichen Munde. Seien es jene Mütter, die im Wahn der Sauberkeitsideologien jeden Zentimeter auf und unter der Vorhaut untersuchen, um uns nur ja vor Verwachsungen oder Infektionen rechtzeitig zu bewahren; oder jene Mütter, die nicht zwischen einem kindlich-lustvollen Erleben und ihrer erwachsenen sexuellen Phantasie in seinem Angesicht unterscheiden können. All das passiert doch täglich viel tausend Mal in unserem Land.

Dann kommen die Spiele unter Jungs hinzu, wo wir versuchen ihn in alle möglichen Löcher, Dosen oder Tuben hineinzuzwängen, um herauszufinden welche Sensationen sich dadurch einstellen mögen. Auch jener Trick, ihn des Morgens aus der Schlafanzughose hängen zu lassen und die Reaktion der anwesenden Gäste am häuslichen Frühstückstisch heraus zu finden, musste er über sich ergehen lassen. Alle abertausend täglichen Berührungen beim Waschen, Pinkeln und Sortieren in den Hosen, all das erlebt er, fühlt er und durchleidet er.

Schließlich die erste bewusste Erektion: Prall ist er, ganz fest in meiner Hand und warm und doch von zarter Haut umhüllt. Auf diese neue Wirklichkeit folgt oft über Jahre ein Intermezzo rüttelnder, reibender, klopfender oder schlagender Bewegungen an ihm. Und welch ein Wind um diesen erigierten Zustand gemacht wird. Da werden Wettkämpfe ausgetragen, wer den längsten oder dicksten hat; in Arabien werden kleine Gewichte an ihm befestigt, um zu beweisen wie hart seine Steife ist.

In manchen geheimen militärischen Ritualen wurde er mit Säure bestrichen, um seine Empfindungsfähigkeit zu mindern und damit seine Ausdauer zu steigern; oder jene asiatischen, die vor dem Geschlechtsverkehr mitsamt dem Skrotum auf ein Stövchen gelegt werden, damit die Samenzellen in der Wärme unfruchtbar werden.

Mit all diesen Ereignissen entfaltet er sein eigenes Verhalten. Ob er sehr schnell hart ist oder eher langsam seine Temperatur steigert; ob er mehr von Bildern stimuliert wird oder ob er lieber in Jemandes Munde angesaugt werden mag; ob er mehr zu der Gewohnheit findet, rasch hintereinander aufzuladen und zu ejakulieren oder ob er Zeit und Vertrauen braucht überhaupt sich erst einmal aufzufüllen und zu stehen. In all diesen Verhaltensweisen entwickelt er ein sehr persönliches Verhalten.

Ich lasse hier mal aus, was sein Mann an guten oder schlechten Dingen aufgrund seiner Verhaltensweisen und dem sozialen Kontext über ihn denkt. Auch etwaige Reaktionen seines Gegenübers, sei es nun Mann oder Frau, lasse ich hier außen vor, um die Beschreibung nicht zu verkomplizieren.

Prall ist er, ganz fest und warm und irgendwann steckt jeder dann einmal in einer dieser warmen Höhlen (ob anal oder vaginal). Sei es, um schließlich über Jahrzehnte in immer dieselbe mehr trockene als feuchte Höhle gesteckt zu werden und müde gerade jene Kraft aufzubringen auszuhalten, bis das der Schlaf den Herren wieder übermannt; oder um in jenen Höhlen jede erdenkliche Variation an Tempo, Rhythmus oder Beweglichkeit auszuführen, einzig zum Zwecke der Lust der Höhlen und ohne je nach eigenem Empfinden gefragt zu werden. Dann gibt es jene der Priester und Pastoren, die ständig schuldig gesprochen und verurteilt werden und die dann dennoch im Stillen schnell in ein erhitztes Loch geschoben werden und mehr in äußerster Verwirrung als in Lust sich einem Ergießen entgegenwerfen; andere werden in äußerster Härte und Erregung mit Kraft und Gewalt in vor Furcht zusammengepresste Höhlen gestopft und müssen schnell und unter Angst ihr Kommandounternehmen ausführen, um nach vollbrachter Vergewaltigung in aller Schnelle zu flüchten; oder sanfte, die kaum herinnen in der Höhle sind, ganz stille werden und ruhig und pulsierend mehr in ihrer Aura baden, als in der feuchten Schleimigkeit um sie herum und über Stunden sich von Wonne, Wasser, Wärme umspülen und erschauern lassen; am Ende erwähne ich noch jene guten Zeiten für ihn, wo die Höhle wie eine zweite Haut sich um ihn schließt, ihn reibt und liebkost nach bestem Können und zu seinem höchsten Genuss und er sich in ganzer Kraft und Herrlichkeit erhebt und steift und zittert und vibriert. Er jeden Zentimeter seiner Umarmung genießt und kostet und sich ganz seinem phantastischen Wahn hingibt, an diesem Orte der Beste, Größte und Geliebteste zu sein.

All das erzähle ich hier nicht urteilend, sondern voll Aufsehen und Mitgefühl für jenes Organ an meinem und unserem Leibe, dem all dies widerfährt. Wieviel Kult und Verbot wird da um Jenen gestaltet, der prall und warm in meiner Hand liegt und ganz einfach nur genießt. Auf seine Art.

Autor:

Bernhard Schlage
Körperpsychotherapie, Schriftstellerei
Gemeinschaftspraxis Kugel e.V.
In der Steinriede 7, Hofgebäude
30161 Hannover
Telefon & Fax 05 11 / 161 42 11

E-mail: post@bernhardschlage.de
Internet: www.bernhardschlage.de

Titelbild von sebastian del val auf Pixabay.

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