Erfüllte Sexualität in Beziehungen – sinnlich begegnen, intim berühren

von Stefanie Gruber

In meiner Begleitung von Frauen und Paaren höre ich oft von der Sehnsucht nach einer erfüllenden Sexualität. Menschen möchten lieben und geliebt werden. Sie möchten eine erfüllende, nährende und lustvolle Beziehung leben. Der Wunsch nach Intimität und Liebeslust lässt sie ahnen, dass noch mehr möglich ist.

Wenn ich hier von Beziehungen spreche, meine ich alle Formen davon, von monogam bis polyamor, hetero oder homo, auch alle Identitäten und Orientierungen sind gemeint. Eine sexpositive Einstellung und die Anerkennung der Vielfältigkeit an Neigungen ist unabdingbar für eine zeitgemäße Sexualkultur

Das Kennenlernen der eigenen „sexuellen“ Geschichte

Kommt eine Frau oder ein Paar zu mir, erörtern wir zunächst im Gespräch ausführlich die eigene sexuelle Geschichte. Das heißt, wir schauen zurück ins Elternhaus, besprechen Kindheit und Pubertät im Hinblick auf sexuelle Prägungen, Verhalten, Meinungen und wie dies für die Person erlebt wurde und was vielleicht immer noch mitschwingt. Wir sprechen über die ersten sexuellen Kontakte, die Erinnerungen an das „erste Mal“ und wie aktuell der Stand in der Selbstliebe (Selbstbefriedigung) und im intimen Kontakt mit dem Partner oder anderen ist. Bei Frauen sind urweibliche Themen wie Menstruation, Fruchtbarkeit, Verhütung, Geburten oder Wechseljahre wichtige körperliche und seelische Bereiche, die betrachtet werden. Auch das Thema Gewalt in Form von Abtreibungen, Operationen und Missbrauch, befördert oft einige verletzte Bereiche ins Bewusstsein. 

Die Wünsche an die gemeinsame Arbeit

Als nächstes folgt der Ausblick: Wohin möchte die Frau, der Mann oder das Paar? Was ist das ganz persönliche Anliegen? Welche Wünsche und Bedürfnisse gibt es? Wenn all dies geschildert und schriftlich festgehalten wurde, habe ich als Gesundheitspraktikerin ein großes Repertoire, um zu begleiten. Es bezieht immer alle unsere Körper mit ein: Den physischen Körper, aber auch den emotionalen, den mentalen und seelischen Körper, kurz gesagt verfolge ich einen ganzheitlichen Ansatz. Ebenso wichtig ist das eigenverantwortliche Engagement meiner KlientInnen. Wie ich gerne zu sagen pflege: „Übung macht die Meister*in.“ Und ohne das Zutun und den Willen, sich sexuell weiterzubilden, bleiben meine Impulse, die Massagen und das körperorientierte Begleiten, ohne weitreichende Wirkung. Es ist ein selbstverantwortliches inspirierendes Miteinander, das auch eingeschliffene Denkmuster und Prägungen aufweichen soll, damit überhaupt Neues entstehen kann.

So begleite ich Paare, die sich eine erfüllte Sexualität wünschen

Kennenlernen im Erstgespräch

Ich möchte gerne ein Beispiel aus meinen Arbeitsalltag schildern: Andrea (Name von der Autorin verändert) kommt zu mir zum Erstgespräch. Wir klären die sexuelle Geschichte, schauen ihren kulturellen Hintergrund sowie ihre Herkunft an. Wir besprechen, wo sie aktuell steht und wohin sie gerne möchte. Andrea fühlt sich nicht richtig in ihrer Sexualität. Sie braucht so viel länger zum Orgasmus als ihr Partner, sie weiß nicht, was ihr guttut und wann es sich das letzte Mal schön für sie angefühlt hat. Zum Höhepunkt schafft sie es, wenn überhaupt, alleine besser. Mit ihrem Mann zusammen fühlt sie sich unter Druck – und das schon, wenn es zu Zärtlichkeiten kommt. Er berührt sie in ihren Augen zu schnell an den Brüsten und im Intimbereich, was dazu führt, dass sie gleich wieder abblockt und ihn zurückweist. Kommt es dann zu einer sexuellen Begegnung mit Geschlechtsverkehr, läuft immer alles gleich ab und sie ist froh, wenn es vorbei ist. Ihr Anliegen ist: Sie möchte sich mehr fallen lassen können, mehr entspannen, nicht so viel denken. Sie möchte herausfinden, was ihr gefällt und es auch aussprechen können. Sie möchte wissen, wo ihr G-Punkt ist und was es mit der weiblichen Ejakulation auf sich hat. Wir vereinbaren einen nächsten Termin zur Yonimassage. Ich gebe ihr die Aufgabe mit, bis dahin zu beobachten, wie sie sich im Solosex und im Sex zu zweit verhält. Was sie macht, was sie mag, wo und wie sie sich selbst berührt. Wo und wie ihr Partner sie berührt…

Die erste Yonimassage

Beim nächsten Termin besprechen wir eingangs die Erkenntnisse aus ihrer Beobachtung und Andrea weiß nun warum es mit ihr alleine in der Selbstliebe besser klappt als gemeinsam mit ihrem Mann. Das hilft ihr schon enorm weiter. Sie hat gleich eigene Ideen, die sie ausprobieren und mit ihrem Mann besprechen möchte. Bei ihrer ersten Yonimassage, in die wir mit der Absicht „Entspannung“ gehen, macht sie erstaunliche Erfahrungen. Wenn sie genug Zeit hat und es sich erlaubt, immer wieder tief zu atmen und ihre Aufmerksamkeit auf die Berührungen zu richten, dann gelingt es ihr, sich im Körper zu entspannen. Das ständige Nachdenken wird weniger, ja, verschwindet bei der Massage an Vulva und Vagina ganz. Sie erlebt, wie sie präsent den Berührungen folgen kann, diese spüren und sogar genießen kann. Sie erfährt einige Verspannungen im Beckenboden, die sich emotional durch fliessende Tränen erlösen. Sie erlebt die langsamen und gezielten Massagegriffe als sehr wohltuend und entspannend. Ihre weibliche Prostata kann sie nun lokalisieren und selbst ertasten. Andrea ist erstaunt, wie viel Platz in ihrer Vagina ist. Die Haltegriffe an der Gebärmutter und Vulva sind für sie überaus wohltuend. Nach der Massage fühlt sie sich wie neugeboren, erleichtert und neugierig. Die weitere Übung, die ich ihr vorschlage, ist das tägliche Eincremen der Vulva und tiefes bewusstes Atmen bis in den Beckenboden. Eine Buchempfehlung, um mehr über die weibliche Anatomie und Ejakulation zu erfahren, nimmt sie dankend an. Wir vereinbaren auf ihren Wunsch eine weitere Yonimassage in vier Wochen.

Die zweite Yonimassage

Bei diesem dritten Termin erzählt sie zuerst, wie es ihr ergangen ist. Sie hat ihrem Partner ausführlich von der letzten Sitzung erzählen können und sich auch das Buch gekauft, in dem sie nun beide lesen. Sie sind sich dadurch wieder nähergekommen und sind irgendwie verständnisvoller miteinander. Sie hat ihm auch gesagt, wie sie gerne an und in der Yoni berührt werden möchte. Ihr Mann ist sehr bemüht und das lässt sie strahlen.

Heute erkläre und zeige ich ihr vorab die vier Modi der Erregung und lade sie ein, in der Massage mit ihrem Atem, ihrer Stimme und Bewegungen zu experimentieren. Andrea gelingt es mit Einladung meinerseits, immer wieder tief und bewusst zu atmen und auch geräuschvoll auszuatmen. Mit der Bewegung tut sie sich schwerer, obwohl ihr das Schaukeln und Kreisen des Beckens, das ich ebenfalls immer wieder anleite, gut gefällt.

Sie erlebt in dieser 2. Yonimassage schneller ein Gefühl von angenehmer Schwere und entdeckt lustvolle Bereiche. Die Verspannungen in der Vagina sind um einiges weniger, so dass die Prostata mehr Berührungen erlaubt. Diese werden als erregend empfunden. So folge ich den Wellen ihrer Wonnen, die lustvoll und zugleich entspannend sind. Sie bekommt ein Gespür dafür, wie es ist, nicht auf ein Ziel hinzuarbeiten, sondern mit dem, was sie spürt, zu sein. Das wiederum erlebt sie als zutiefst angenehm. Sie sagt, sie fühle sich richtig und geborgen in ihrem Körper.

Übungsangebot: Beckenschaukel

Im Nachgespräch ergibt sich für mich die Möglichkeit, ihr beim nächsten Termin die Beckenschaukel zu zeigen, die sie dann zuhause üben kann. Mit dieser Übung kann sie in der Selbstliebe und in der sexuellen Begegnung immer wieder bewusst spielen, bis der Körper von alleine darauf zurückgreift und sich dadurch an sein vielfältiges Bewegungsrepertoire erinnert. Ich erkläre ihr, dass durch die Bewegung und bewusster Atmung mehr Durchblutung und Sauerstoffanreicherung im Körper, in der Vulva und Vagina stattfinden. Anspannung und Entspannung werden bewusst ausgelöst und ein Gefühl dafür stellt sich ein. Andrea meint später, es gibt ihr was Selbstbestimmtes, wenn sie sich gezielt bewegen kann und nicht mehr so still daliegt wie in der Vergangenheit.

Erst drei Monate später höre ich wieder von Andrea. Die Beckenschaukel und die Yonimassagen haben ihr sehr geholfen, ihre Zweifel und Unsicherheiten über sie selbst zu beheben. Sie habe einfach neue Erfahrung gemacht und fühlt sich dadurch richtig und bestätigt. Sie sagt erleichtert: „Mit mir ist alles in Ordnung.“ Auch könne sie sich schneller entspannen, nur wie sie ihrem Mann sagen soll, was ihr gefällt, das klappt noch nicht so gut. Nun möchte sie einen gemeinsamen Termin vereinbaren, damit ihr Mann und sie mehr über Berührungen und Massage erfahren können.

Erfüllte Sexualität in Beziehungen: Ein gemeinsamer Termin als Paar

In einem Einzelworkshop erkläre und zeige ich den beiden, wie sie sich gegenseitig berühren und massieren können. Andreas Mann erfährt, wie wichtig und schön es ist, seine Partnerin zuerst sinnlich am ganzen Körper zu berühren. Seine Kreativität ist geweckt und er probiert von sanft bis fest, mit Tuch, Feder und Fellchen, was seiner Partnerin gefällt. Dankbar nimmt er die unterschiedlichen Massagegriffe an. Ich kann ihn dabei unterstützen, zuzuhören und sich Zeit bei der Abstimmung des Drucks und der Langsamkeit des Griffs zu nehmen. Er fragt ganz offen, wie er mit seiner Lust umgehen kann, wenn diese so intensiv kommt und er ins Stimulieren fallen möchte, obwohl er sehr genau erkennt, dass seine Partnerin völlig entspannt ist? Auch hier kann ich begleiten und ihn anleiten, tief zu atmen, seine Aufmerksamkeit in seine Hände zu lenken und die eigene Lust einfach da sein zu lassen.

Er erlebt im eigenen Leib seine lustvollen Wellen und wie sie nicht gleich in Richtung Höhepunkt und Ziel gelenkt werden müssen. Sondern da sein dürfen, fließen können und er sich hineinentspannen kann in seinen Körper.

Berührung berührt

Als beim Gebärmutterhaltegriff Tränen bei seiner Liebsten fließen, ist auch er ganz berührt und kann einfach da sein und bleiben. Später sagt er, oft wisse er nicht, was er machen soll, wenn seine Frau weint oder traurig ist. Diese Erfahrung nimmt er mit, sagt er später im Nachgespräch. Als dann Andrea ihren Mann berührt und massiert, erlebt sie Gefühle von Unsicherheit und Scham. Sie wisse nicht, wie sie seinen Körper berühren soll. Ich ermutige sie, ihren Partner zu fragen, wo er sich Berührung wünscht. Ich leite sie an, ganz langsam über den Körper zu streichen. Ganz achtsam und genussvoll, das warme Öl zu verteilen und auch mit festeren Berührungen zuzulangen, solange sie ihrem Liebsten gefallen. Wenn bei ihr Unsicherheit aufkommt, soll sie nachfragen, wie sich die Berührung anfühlt. Wenn es was zu verbessern gibt, soll sie versuchen, es umzusetzen.

Nach und nach entspannen sich beide. Unsicherheit und Schamgefühl wechseln zu neuen mutigen Möglichkeiten. Sie können gezielt offene und geschlossene Fragen stellen und entdecken, wie leicht es ist, dem anderen zuzuhören und aufeinander einzugehen.

Weiter Üben und Verfeinern

Im Nachhinein bestätigen beide, wie schön es war, im sinnlichen intimen sexuellen Kontext so klar kommunizieren zu können und das nicht nur mit Worten, sondern auch mit ihren Körpern. Sie wollen das Erlernte weiter üben und verfeinern. Sie hätten sich in diesem geschützten Raum sehr wohl gefühlt und sind dankbar, dass es diese Möglichkeit gibt. Sie meinen beide, dass es für sie im sexuellen Bereich und im Leben der Beziehung noch Einiges zu Lernen gibt. Wir vereinbaren in vier Wochen ein Online-Meeting, um zu besprechen, wie es ihnen geht und um mögliche Fragen klären zu können.

Alle wollen angenommen, verstanden und geliebt werden

Dieses Beispiel soll zeigen, wie ich die Begleitung von Frauen und Paaren in meinem täglichen Wirkungsfeld erlebe. Die Themen, die Wünsche und auch die Abläufe unterscheiden sich freilich voneinander – eines hat aber jede Frau, jedes Paar gemeinsam: Alle wollen sie angenommen, verstanden und geliebt werden. Es ist überaus beglückend, wenn Menschen sich selbst und ihrem Partner näherkommen. Wenn Scham, Angst, Unsicherheiten und alte Verletzungen sich zeigen dürfen, dies bewusst gefühlt und angenommen werden kann. Dies schenkt inneren Frieden und eine neue Leichtigkeit stellt sich ein. Ich bin dankbar und froh, mit meiner Arbeit dazu beitragen zu können.

Autorin:

Stefanie Gruber
Internet: www.yonikraft.de

Fotos: Stefanie Gruber

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert