Lust auf mich

von Inari Hanel

Die sexuelle Selbstliebe ist ein Thema, das mir ganz besonders am Herzen liegt. Denn für mich ist sie das Fundament für ein erfülltes und lustvolles Sexualleben, sowohl in der Partnerschaft als auch allein.

Denn Genießen ist in erster Linie ein sinnliches – und somit ein körperliches Erleben. Und im Bereich von Lust und Sexualität spielt der Körper eine zentrale Rolle. In ihm kommen Körperwahrnehmung, Gefühle, Emotionen, Gedanken und Bilder zusammen und bilden ein mehr oder weniger authentisches Ganzes.

In der Kindheit wurden wir so gut wie nicht ermuntert, unseren Intimbereich zu berühren und zu erforschen. Bestenfalls wurde es von unserem Umfeld ignoriert, wenn wir dabei beobachtet wurden. Meistens gab es jedoch Verbote. So wurde dieses kitzelige Gefühl zwischen unseren Beinen, das manchmal bis tief in den Bauch hinein strahlte, zu etwas Heimlichen und Verbotenen. Da gab es noch nicht einmal Worte dafür.

Und auch heute wollen schöne Worte für das lustvolle Sein mit mir und meinem Körper erst einmal ganz aktiv gefunden werden. Manchmal wird das Wort „Onanie“ verwendet. (Onan war ein Mann im Alten Testament, der seinen Samen auf die Erde fallen ließ, weil er die Blutslinie seines Bruders nicht weiterführen wollte.) Ein anderer Ausdruck ist Masturbation. Das heißt eigentlich „Unzucht mit der Hand“. Und auch die Bezeichnung „Selbstbefriedigung“ trifft es nicht wirklich. Sie klingt nach einer Ersatzhandlung, die frau/man so schnell wie möglich hinter sich bringt, um dann wieder den Alltagsaktivitäten nachzugehen. Viel schöner hört sich „Selbstbeglückung“ an oder „sich selbst erfreuen“. Und vielleicht findet frau/mann noch viel schönere Bezeichnungen für dieses Tun, das unser ganzes Sein mit frischer Energie aufladen kann, uns entspannt und unsere Gefühlswelt neu ausbalancieren kann.

Selbstliebe-Ritual

Viele Frauen und Männer berühren sich auf die immer gleiche Art, so wie es am schnellsten funktioniert. Wir kommen nur selten auf die Idee, andere Spielmöglichkeiten auszuprobieren. Bei einem Selbstliebe-Ritual geht es nicht um möglichst rasche Spannungsentladung, sondern um tieferen Kontakt zu mir selbst und zu meinem Körper. Ich schenke mir selbst die Liebe und Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Berührung, die ich oftmals so gerne anderen gebe.

In Vorbereitung für ein Selbstliebe-Ritual sorge ich dafür, dass ich mindestens eine Stunde ungestört bin, schalte Hausglocke und Handy aus und bereite mir einen wohltemperierten Raum, sorge für eine sinnliche Atmosphäre vielleicht mit Blumen, passenden Düften, Kerzen und ansprechender Musik. Vielleicht mag ich erstmal mit mir selbst tanzen, vielleicht habe ich Lust auf anregende erotische Literatur oder mag ich mich mit einem Seidentuch oder mit der Lieblingslotion am ganzen Körper berühren. Es geht darum, in einen sinnlichen Kontakt zu mir selbst zu kommen, meinen Körper und seine Lustzonen ganz neu zu entdecken. Zu erforschen, welche Berührungen ich besonders gerne mag, dabei auch mit dem Druck und mit dem Tempo zu variieren. Wenn ich mich immer mit der rechten Hand streichle, dann mal ganz absichtlich die linke Hand zu nehmen. Und wenn dann die Lust geweckt ist, nehme ich nicht den geraden Weg ins Ziel, sondern lasse mich auf den Wellen mittragen. Mache vielleicht eine kleine Pause und verstreiche die Lustenergie am ganzen Körper, um dann neu zu beginnen. Surfen auf den Wellen der Lust und Sinnlichkeit, Tanzen mit den Erregungskurven. Bis der ganze Körper aufgeladen ist mit prickelnden Empfindungen. Wenn dann der Orgasmus geschehen darf, erfüllt er mich auch in den Tiefen des Seins. Emotionen können gefühlt und ausgedrückt werden, vielleicht mit einem Lachen oder auch mit einigen Tränen des Berührtseins. Ich beende das Selbstliebe-Ritual, indem ich ganz bewusst eine Hand auf meine Yoni und die andere Hand auf den Herzbereich lege und so die Sexualenergie mit der Herzenergie verbinde, die Kraft und die Schönheit dieser beiden Qualitäten in mir wahrnehme und dem nachspüre.

Die zweite Möglichkeit ein Selbstliebe-Ritual zu feiern, ist die Selbstliebe in der Gruppe, für mich im Kreis von Frauen. Was ich an gemeinsamen Selbstliebe-Ritualen so sehr schätze, ist zum einen der rituelle, klare Rahmen, der uns als Gruppe zusammenhält und auch schützt. Und ich kann und darf mich inspirieren und mitreißen lassen von der Kraft und der Lust der anderen Frauen. Ich darf schauen, hören, mich mitfreuen und auch mitschreien. Ich bekomme immer wieder Impulse, auf eine neue Weise in meine Lust zu gehen. Wie würden wir wohl tanzen, wenn wir nie gesehen hätten, wie andere Menschen tanzen? Es ist immer wieder ein Geschenk für mich, wenn ich erleben darf, wie andere Frauen ihre Lust leben.

Zum anderen finden die Selbstliebe-Rituale an ausgewählten Orten statt, wo wir richtig laut sein können. Damit haben wir die Möglichkeit, der wilden, ungezähmten Frau in uns nachzuspüren. Denn wir alle tragen auch das Wissen um eine Zeit in uns, in der die Frau in ihrer Urkraft als Trägerin des Lebens verehrt und geachtet wurde. Als sie sich im tiefen Wissen von zyklischem Werden und Vergehen immer wieder mit der Göttinnen-Kraft verbunden und diese auch verkörpert hat. In wilder, lauter, grenzenloser Lust.

Selbstliebe in der Partnerschaft

Sich selbst zu beglücken, wird oftmals nur dann toleriert, wenn frau/mann als Single lebt und keine Sexualkontakte hat. Doch auch in einer funktionierenden Partnerschaft kann es außerordentlich bereichernd sein, auch auf die Möglichkeit, sich selbst zu erfreuen, zurückzugreifen. Denn nicht immer hat der Partner oder die Partnerin Lust oder Zeit, wenn meine Hormone Salsa tanzen. Und zum anderen kann es die Intimität eines Paares nur vertiefen, wenn beide erlauben, dass der Partner oder die Partnerin bei der Selbstliebe zuschauen darf.

Es gibt im Tantra die Methode des Witnessing. Das heißt „Zeuge sein“: Der aktive Partner stimuliert sich selbst, bringt sich in Lust und Erregung. Das kann bis zum Orgasmus gehen, muss aber nicht. Der passive Partner sitzt ganz nahe dabei, bewegt sich möglichst nicht, schweigt und greift auch nicht ein. Er ist stiller, absichtsloser, präsenter Zeuge. Nach einer verabredeten Zeit von etwa 30-45 min. wird gewechselt. Durch dieses Witnessing kann der alte Schleier von Scham und Heimlichkeit schrittweise abgebaut werden. Es vertieft die Vertrautheit in der Paarbeziehung, und der jeweilige Zeuge kann durch das Zuschauen lernen, wie er/sie den Partner noch besser berühren kann.

Selbstliebe als Orgasmustraining

Die körperliche Lust will gelernt werden. Irgendwann zwischen Kindheit und Pubertät haben wir bestimmte Wege gewählt, mit den sexuellen Regungen umzugehen. Diese Wege sind oftmals nur Teilaspekte des ganzen Vermögens an Lust und Ekstase. Hier lässt sich die sexuelle Selbstliebe hervorragend als Trainingsprogramm einsetzen, um den Körper zu lehren, mehr sexuelle Energie aufzubauen und zu halten. Je mehr Lustenergie ich aufbauen kann, desto umfassender und erfüllender kann sie sich im Orgasmus entladen. Für dieses Orgasmustraining werden diverse Atemtechniken mit bioenergetischer Körperarbeit wie etwa der Beckenschaukel und genitaler Selbstberührung kombiniert. Sinnvoll ist zum Beispiel ein konsequentes tägliches Training über 21 Tage. Der vergnügliche Lohn ist die wachsende Fähigkeit, das volle Potenzial der eigenen sexuellen Kraft auszuloten und zuzulassen.

Selbstbeglückung – sich selbst erfreuen – Selbstliebe – Sie kann in jedem Alter eine Quelle der Lebensfreude und der Sinnlichkeit sein. Und darüber hinaus ist sie auch Voraussetzung für ein erfülltes Sexualleben zu zweit.

Kommentare und Fragen zu diesem Beitrag hier sind willkommen. Ich antworte gerne.

Herzlichst, Inari

Inari Hanel
DGAM Dozentin für Sexualkultur und Gesundheitspraktikerin, DGAM Ausbildungsdozentin; Leiterin Praxisfeld Sexualkultur
www.inari-sexualkultur.de

Literatur zum Thema:

Betty Dodson „Sex for One“
Doris Christinger „Auf den Schwingen weiblicher Sexualität“
Saleem Matthias Riek und Rainer Salm „Lustvoll Mann Sein“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert